Leserantwort zum Beitrag Guido Schönians "GOOGLEs Geschenke für die Grundschule"

(Beitrag erschien in "forum" - GEW-Köln - GEW NRW. Ausgabe 5/2017 .)

Der Artikel suggeriert die Auslieferung der Grundschulen an einen Konzern über die Einführung des Minicomputers "Calliope". Doch das ist Unsinn. Ich würde sonst den Calliope in einer AG an einer Grundschule nicht einsetzen. Weder auf der Hardware ist eine Logo eines Konzerns zu sehen, noch auf der von mir eingesetzten Programmierumgebung: das vom Frauenhofer Institut entwickelte "Open Roberta Lab" kommt ohne Werbung aus. Es gibt auch andere Editoren, z.B. das von Microsoft finanzierte "pxt". Dort ist sehr offensiv deren Logo zu sehen.

JedeR kann selber entscheiden welches Werkzeug eingesetzt wird. Ich nutze seit 20 Jahren Linux und würde den Unmut verstehen wenn in den Schulen etwas eingeführt werden sollte dass an ein bestimmtes Produkt bindet. Das ist bei Calliope aber nicht der Fall. Schade, dass es einige Bücher über den Calliope gibt in denen Microsofts Programmierumgebung, samt Logo, abgebildet wird - das ist M.E. unnötige Schleichwerbung. Wenn es nach mir ginge dürfte in öffentlichen Einrichtungen nirgendwo Black-Box-Computer (Windows, Apple) eingesetzt werden. Googles Internetsuchmaschine nutze ich seit etwa 10 Jahren nicht mehr - die Marktmacht Googles ist mir suspekt. Es gibt Alternativen.

Der wichtigste Punkt aber ist dieser: aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit wird sich keineR befreien, der grundlegende Kulturtechniken (und dazu gehört, mag es oder nicht, Programmieren) ablehnt. Ich sage "grundlegend" weil seit 20 Jahren alle (nicht nur die Wirtschaft) von Computer abhängig sind. Viele ohne sich dessen bewusst zu sein. Dabei ist die Angst vor der "Digitalisierung" (ein Unwort! Weil es viel zu abstrakt ist, dem Begriff soviel Bedeutung inhärent ist, dass es nichts erklärt sondern lediglich ein Gefühl evoziert: entweder von Ohnmacht oder von Macht, je nach Standpunkt) größer als die Schwierigkeit die Grundlagen der Programmierung zu erlernen. Und damit letztlich überhaupt erst zu substantieller Reflexion und Kritik in der Lage zu sein. Und vor allem dann auch: mitbestimmen zu können wohin sich die "digitale" Gesellschaft entwickelt, nicht nur zeternder Zaungast oder kritikloser Konsument zu sein.
Grundlegende Kulturtechniken sind Lesen & Schreiben, Rechnen & Mathe - dann aber kommt auch bald Programmierung.

Anders als z.B. in England, wo Programmieren seit 2014 ein Pflichtfach in den Grundschulen ist, wird hierzuland' immer noch drum gestritten ob ein so offenes und M.E. auch pädagogisch nettes System wie der Calliope eingesetzt werden darf. Klar wär es schöner wenn der Staat die Finanzierung komplett in die Hand nähme, doch in den Schulen fehlt es ja nun sowieso schon an allen Enden am Geld. Da es zudem auch möglich ist den Minicomputer bar jedes Unternehmenslogos einzusetzen und sich niemand die zu schreibenden Programme von Konzernen diktieren lassen muss, sollte eher das Projekt "Calliope" gewürdigt werden.

Ich verstehe den intuitiven Drang zur Totalblockade, aber sie bringt niemanden weiter:
natürlich muss dieser Republik der Vogel gezeigt werden ob der Unterfinanzierung des Bildungssystems (und nicht nur des Bildungsystems!) bei gleichzeitiger Subventionierung von MillionärInnen oder Braunkohle oder oder und. Aber derweil dürfen die Emanzipationsbemühungen nicht aufgegeben werden. U.a. muss der erschreckenden Tendenz, Computer hauptsächlich von Männern programmieren zu lassen, entgegengewirkt werden. Dabei waren in den Anfängen meist Frauen Programmierer (das erste Programm überhaupt wurde von einer Frau geschrieben, die Apollo Mondlandefähre wäre ohne deren Programmierin nicht möglich gewesen...). Auch in dieser Hinsicht ist das "Open Roberta" Projekt (mann achte auf das suffigierte "a") "gut".

Die Häme des Artikels darüber dass "nicht alles rund läuft" ist unwürdig: eine Gewerkschaft sollte sich nicht nur um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der von ihr vertretenen abhängigen Beschäftigten kümmern. Sie sollte auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Auge behalten.

Pascal Christoph, Softwareentwickler und GEW Mitglied, Köln Januar 2018

An einer Grundschule in Köln unterrichte ich 45 Minuten in der Woche eine Programmier-AG mit 8 Kindern. Vor dem Start wurden alle SchülerInnen der Schule befragt ob sie in an einer "Computer AG" Interesse hätten - von den ca. 150 Schülern ab der 2. Klasse hatten das dann mehr als 70 bekundet. Interessant ist nicht nur das große Anfangsinteresse, sondern auch die paritätische Verteilung des Geschlechts - bei den jungen Menschen ist die momentane Assozierung von "Computer" und "Mann" noch nicht gegeben.